Hanfmythen erklären – 1 von 11 – Das Sauerstoffwunder
Hanfmythen genau betrachtet – hemp myth buster 1 / 11: Produktion von Sauerstoff
Im Zuge der Heiligsprechung der Hanfpflanze zur weltrettenden Wunderpflanze kann sich auch ein Wohlmeinender einer gewissen Enervierung durch fahrlässig oder vorsätzlich verbreiteten Unfug nicht entziehen.
Ich arbeite seit 2006 beruflich voller Freude mit Hanf, nachdem ich in den 20 Jahren zuvor intensiv mit Flachs beschäftigt habe und hoffe, dass Hanf der Wiedereintritt in die landwirtschaftlich-industrielle Praxis gelingt – allerdings nicht auf Basis von Falschmeldungen und in die Irre geführten Investoren.
Nicht immer ist die Intention der Verbreiter solch teilweise hanebüchenen Unfugs klar, in den letzten Monaten deutet aber Einiges darauf hin, dass zusätzlich zu den langen Reihen teils manipulativer, teils ahnungs- und bedingungslosen Fürsprechern auch rechtspopulistische Multiplikatoren aktiv werden, die eigentlich nur eine allgemeine Verunsicherung zum Ziel haben können. Weiterhin scheinen einige Anbieter von KI-generierten Falschmeldungen aktiv zu sein, möglicherweise um Investoren einen Hype vorzuspiegeln den es in Wirklichkeit gar nicht gibt.
Meine Motivation solchen Falschbehauptungen entgegenzutreten besteht darin, dass ich die Bastfaserpflanzen liebe – mein gesamtes Berufsleben lang. Die Erfahrung lehrt, dass hohe Erwartungen, die durch solche -höflich gesagt – aus der Luft gegriffene Behauptungen geweckt werden am Ende allen schaden: den Bauern, den Verarbeitern, den Kunden und den Investoren.
Hier im ersten von elf Teilen also zumindest einige Gedanken zu einer etwas fundierteren Auseinandersetzung mit Thesen, die eine anderen Pflanzen überlegene Sauerstoffproduktion von Hanf unterstellen:
- Ein Hektar Hanf produziert so viel Sauerstoff wie 25 Hektar Wald.
- Ein Hektar Hanf produziert 25% mehr Sauerstoff als ein Hektar Wald.
- Ein Acre Hanf produziert 35% mehr Sauerstoff als ein Acre Wald.
- Eine Tonne Hanf erzeugt zwei Tonnen Sauerstoff
- Hanf bindet die 4,1 fache Menge an Kohlendioxid wie Wald
Asymetrische Vergleiche führen in die Irre
Zunächst gilt es festzustellen WAS eigentlich miteinander verglichen werden soll: ein Hanfbestand auf einem spanischen Grenzertragsstandort mit chronischem Wassermangel mit einem baumbewachsenen grundwassernahen Auenlehm in der Po-Ebene oder im Amazonasbecken? Ein Hanfbestand auf einem feuchten, nährstoffreichen ungarischem Niedermoor mit einem Wald nahe der Baumgrenze in Oberösterreich?
Ohne genaue Beschreibung einer Referenz ist eine Kann-Aussage zu Hanf genauso aufschlussreich wie die Behauptung, durch Händewaschen könne man BIS ZU 99,9% aller Bakterien entfernen.
Ein fairer direkter Vergleich von Wuchsleistungen verschiedener Pflanzenkann nur zwischen Flächen mit ähnlichen Rahmenbedingungen hinsichtlich Niederschlag, Nährstoffen, Humusgehalt, Bodenverhältnissen, Tageslichtlängen und Temperaturen gezogen werden.
Naheliegend ist also der Vergleich der sommeranuellen Kultur Hanf mit einem Agroforst, beispielsweise einer Kurzumtriebsplantage Laubholz.
Wenig überraschend stellen sich die Mengenverhältnisse in einem solchen Vergleich dar: Kurzumtriebsplantagen auf leichten bis mittleren Böden Deutschlands kommen auf etwa 10 t bis 15 t je Hektar und Jahr lufttrockenen erntefähigen Aufwuchs (15% Restfeuchte), Hanf erreicht dort selten mehr als 10 t bis 12 t Aufwuchs je Hektar und Jahr (12% Restfeuchte).
Etwas weniger effektiv als Kurzumtriebsplantagen kommen Nutzwälder mit (gemittelt über alle Altersstufen) einem jährlichen Zuwachs 8 t bis 12 t Trockenmasse (15% Restfeuchte) daher.
Nutzwälder werden jedoch – anders als Hanf auf landwirtschaftlichen Nutzflächen- nicht gedüngt und stehen natürlicherweise auf weniger guten Böden.
Werden also extrem hohe Trockenmasseerträge von Hanf unter den Bedingungen von Tröpfchenbewässerung und Flüssigdüngung als Beleg für eine extrem hohe Sauerstoffproduktion herangezogen, so sollten korrekterweise direkt angrenzend Bäume in ihrer ertragsstärksten Phase unter Tröpfchenberegnung und mit Flüssigdüngung betrachtet werden.
Die Photosynthese macht keine Unterschiede
Der jährliche Massezuwachs von Wald und Hanf liegt insbesondere auf mittleren und geringen Standort also auf durchaus vergleichbarem Niveau. Grund dafür sind natürliche Gesetzmäßigkeiten, denen sich auch “Wunderpflanzen” nicht entziehen können – speziell die Photosynthese:
6 H2O + 6 CO2 stehen im Gleichgewicht mit C6H12O6 + 6 O2
Auf der Basis einer chemischen Standardmenge von 1 Mol bedeutet die Gleichung, dass unter der Photosynthese 108 g Wasser und 264 g Kohlenstoffdioxid in 180 g Zucker und 192 g Sauerstoff umgewandelt werden.
Die Speicherung von 1000 kg Kohlendioxid in etwa 680 kg Zucker (und später Stärke bzw. Zellulose, Eiweiß, Fett u.a. ) setzt demnach etwa 720 kg Sauerstoff frei. Bezogen auf die Aufwuchsmenge bedeutet dies, dass eine Tonne Hanf bestenfalls 1,47 t Kohlendioxid binden bzw. 1,05 t Sauerstoff freisetzen kann.
Bei unter gleichen Umweltbedingungen in der Größenordnung ähnlichem Massezuwachs von Hanf und Holz wird sich auch die Freisetzung von Sauerstoff auf etwa gleichem Niveau einpendeln.
Nichts hält ewig – schon gar nicht freigesetzter Sauerstoff
Zur Energiegewinnung für Wachstum und Umbauprozesse veratmet die Pflanze in der Nacht einen Teil des Zuckers, den sie tagsüber unter Sauerstofffreisetzung gewonnen hat – etwa in der Art von unserem Ein- und Ausatmen, nur eben länger.
Am Ende ihres Wachstums atmet die Pflanze dann aber deutlich länger aus als wir:
So verringert sich die effektive Sauerstofffreisetzung von Hanf dadurch, dass nur ein Teil seiner oberirdischen Masse geborgen wird und davon wiederum nur ein Teil dauerhaft über Jahre und Jahrzehnte dem Kohlenstoffkreislauf entzogen wird.
Blätter -soweit nicht schon vor der Ernte abgefallen und kompostiert – Hanfeinstreu oder Samen werden binnen Monaten verstoffwechselt oder verkompostiert, Fasern in Textilien oder in Formpressteilen holen sich nach einigen Jahren der Nutzung den einst produzierten Sauerstoff zurück. Lediglich Hanfbaustoffe wie Hempcrete oder Isolierstoffe schaffen es – genau wie Holz – die Verbrennung oder Veratmung für die Lebensdauer der Gebäude in denen sie verbaut sind, also etwa 50 bis 100 Jahre, hinauszuzögern.
Der in Stoppel, Blattfall, reduzierten Pflanzen, Unterhanf und Wurzelmasse gebundene Kohlenstoff, mehr als ein Drittel des insgesamt gebundenen Kohlenstoffs wird unter Verbrauch von Sauerstoff zum weitaus überwiegenden Teil (>90%) umgehend d.h. binnen weniger Monate, wieder veratmet.
Damit ist die Behauptung, dass eine Flächeneinheit Hanf mehr Sauerstoff freisetzt als eine Flächeneinheit Wald eindeutig widerlegt.
Übrigens: bevor der Gedanke einer grundsätzlichen Überlegenheit von Hanf gegenüber anderen Kulturpflanzen aufkommt: Weizen erzielt 10-18 t /ha TM, Mais 15-26 t/ha TM, Bambus 10-20 t/ha und Miscanthus 10-20 t/ha wobei in Einzelfällen bzw. unter besonders günstigen Bedingungen die Erträge nochmals höher liegen können. Dazu in weiteren Myth Busters mehr.
Es gibt keine Wunderpflanzen auf dieser Welt.