Hanfmythen erklären: 2/11 Hanf bindet doppelt so viel Kohlendioxid wie Wald
In den Gedanken zum Hanf-Mythos “1/11 Produktion von Sauerstoff durch Hanf” wurde bereits dargestellt, dass es hinsichtlich Photosyntheseleistung bzw. Sauerstoffproduktion keine grundsätzliche Überlegenheit von Hanf gegenüber Wald oder vielen anderen Kulturpflanzen gibt.
Entsprechend ist auch bei der Bruttobindung von Kohlendioxid in den Pflanzen kein grundsätzlicher Unterschied zu erwarten – 1000 kg Traubenzucker binden 1470 kg Kohlendioxid. Unterschiedliche Kohlendioxidbindung in Stärke, Fette und Eiweiße werden vereinfachend vernachlässigt.
Kohlendioxid ist unsichtbar – es verschwindet oft heimlich
Geht man jedoch noch einen Schritt weiter und schaut sich an, was mit dem im Hanf gebundenen Kohlendioxid kurz-, mittel- und langfristig geschieht, so ergeben sich erhebliche Unterschiede. Diese bestehen vor allem im unterschiedlichen Schicksal der verschiedenen Koppelprodukte des Aufwuchses und des Erntegutes bzw. deren Verhalten im jahreszeitlichen Zyklus. Im Falle von Hanf sind diese von den Ernteprodukten bzw. dem Ernteverfahren abhängig, wobei von den Wurzeln (etwa 10-20 % der Gesamttrockenmasse) binnen weniger Monate nach der Ernte 90% ihrer Trockensubstanz abgebaut werden.
Betrachtet man ein bis vor wenigen Jahren gängiges Ernteverfahren von Hanf in Europa (Drusch Samen, Vorentholzung Hanf durch modifizierten Mähdrescher oder durch Spezialerntemaschinen, Bergung vorentholzten Strohs nach Trocknung, manchmal sogar erst nach Winter) so verblieb mehr als 60 % der oberirdischen Biomasse auf Feld und teilte das Schicksal der Wurzeln. Entsprechend wurden einschließlich der Wurzelmasse 70-80% des aufgenommenen Kohlendioxids binnen weniger Monate bis Jahre unter Sauerstoffverlust wieder freigesetzt.
Nachdem bei der Verwendung als Pferdeeinstreu gewisse Vorteile von Hanfschäben gegenüber Holzspänen offensichtlich wurden, ging man dazu über, die Hanfsamen statt zu dreschen zu strippen und das Hanfstroh eher nur vorgebrochen – d.h. mit möglichst geringen Schebenverlusten – zu bergen um so in vergleichsweise einfachen Entholzungsanlagen mehr und qualitativ bessere Schäben zu gewinnen. Dadurch wurde die bei der Ernte auf dem Feld verbleibende (schnell zersetzbare) Biomasse reduziert, jedoch kompostierten die Schäben nach Nutzung als Einstreu unter Sauerstoffverbrauch aufgrund des durch Kot und Harn der Tiere bedingten engem C/N-Verhältnisses außerordentlich schnell. Unter anderem erklärt dieser Umstand die gute Eignung von Pferdemist auf Basis Hanfschäben als beispielsweise Rosendünger.
Neuere Verfahren wie das mit wesentlichen Teilen der Flachsernte- und Verarbeitungskette (Wenden, Pressen,Schwingen) kompatiblen Systems Hyler (Bildung von 2 Schwaden Hanfstängel in Parallellage durch Doppelschnitt mit anschließender Tauröste) führen – abhängig von Erntezeitpunkt und Verbleib der Spitzen – zu etwas günstigeren Verhältnissen.
Auf dem Feld verbleiben bei dieser Erntekette oberirdisch die Stoppeln (5-10% der oberirdischen Masse) und die zum Erntezeitpunkt noch vorhandene Blätter, Blütenstände und Spitzen (15-25% der oberirdischen Masse).
Hinzu kommt der Röstverlust durch die Abbauprozesse während der Tauröste im Stängel(15% bis 25 % bezogen auf den oberirdischen Aufwuchs) oberirdisch also 35-60%. Zusammen mit dem Kohlenstoff aus den Wurzeln ergeben sich dann Wiederfreisetzungen von 45-80% des zuvor aufgenommenen Kohlendioxids.
Auch bei diesem modernen Ernteverfahren ergeben sich eher bescheidene Speichermengen im Bereich von 40% bis 65% des oberirdisch gebundenen Kohlendioxids. Dies entspricht etwa den mittelfristig als Kohlenstoffdepot in Frage kommenden Ertragskomponenten Hanffaser und Scheben größer 5 mm.
Die Kohlenstoffbindung im Boden hat eigene Regeln
Einschränkend muss erwähnt werden, dass unter den Bedingungen eines suboptimalen Humusgehaltes eines Standortes nach 10 Jahren noch etwa 10% des Kohlenstoffs zu finden sein können, so dass dann von einer Netto-Wiederfreisetzung insgesamt von etwa 40-70% des insgesamt unter- und oberirdisch aufgenommenen Kohlendioxids zu gerechnet werden muss.
Auf der anderen Seite zeigt sich allerdings bei Standorten mit einem optimalen Corg-Gehalt kein weiterer Zuwachs des von der Kultur gebundenen Kohlendioxids, so dass hier mit einer vollständigen Umwandlung des zunächst gebundenen Kohlenstoffs in Kohlendioxids gerechnet werden muss.
Mancher mag nun aus Modellrechnungen ableiten, dass nach 100 Jahren Hanfanbau auf humusarmen Böden sich die Menge des gebundenen Kohlenstoffs um etwa 26 t /ha erhöht haben möge. “From hemp grown on carbon-vulnerable lands to long-lasting bio-based products: Uncovering trade-offs between overall environmental impacts, sequestration in soil, and dynamic influences on global temperature”. (Zhou Shen, Ligia Tiruta-Barna, Lorie Hamelin 2022)
Allein: die Folgen eines großflächigen Anbaus von Hanf auf Bodenwasser, Schadorganismendruck und Ertragsrückgang wg. Monokultur sind überhaupt nicht abzusehen. Hinzu kommt der Umstand, dass als Erntegut dann lediglich Samen, Blatt und Blüten in Frage kämen und so eine Ökonomie des Anbaus außerordentlich fragwürdig wäre.
Und schließlich würde solch ein hundertjähriger Hanfanbau lediglich gut ein Viertel der heutigen Corg-Durchschnittsmenge von etwa 95 t
Zieht man noch das in den Wurzeln gebundene Kohlendioxid ab so bindet Hanf selbst bei einer Röststrohernte insgesamt nur die Hälfte des per Photosynthese gebundenen Kohlenstoffs in den Exporten vom Feld.
Die den Falschmeldungen häufig folgenden Diskussionsbeiträge wie angeblichdurch das USDA veröffentlichte Daten einer Kohlendioxidbindung von 15 t je acre (entsprechend 37 t CO2/ha oder 25300 kg/ha Trockenmasse) kollidieren jedenfalls heftig mit dem National Hemp Report des USDA (ISSN.2831-5545). Dort wird der landesweite Durchschnittsertrag für Faserhanf mit 4540 kg/ha sowie für Konsumsamen mit 874 kg/ha angegeben. Damit liegt der mittlere Hanfertrag in den USA deutlich unter dem europäischen Durchschnitt von 5420 kg/ha (Zahlen 2022: 179000 t von 33020 ha)
Am Ende viel Lärm und wenig
Völlig anders die Verhältnisse im Wald, die allerdings – abhängig von den klimatischen Bedingungen und damit der Zersetzungsgeschwindigkeit von Laub- und Nadelfall – auch in einem weiten Bereich schwanken können. Der Blatt- oder Nadelfall in tropischen und subtropische Holzplantagen wird ungleich schneller zersetzt als in nördlichen Naturwäldern, jedoch ist in Ersteren der jährliche Holzzuwachs auch viel höher.
In Mitteleuropa kann davon ausgegangen werden, dass der in den Baumwurzeln gebundene Kohlenstoff dort über die Vegetationsruhe verbleibt, da Wurzeln nicht in größerem Ausmaß absterben. Aus Blättern und abgängigen Nadeln wird im Herbst Zucker in die dauerhaften Pflanzenteile zurück verlagert, was einen gewissen Frostschutz bewirkt und als Starttreibstoff dem Wiederaustrieb zur Verfügung steht.
Insoweit kann angenommen werden, dass insgesamt max 20%-25% des in der Blattmasse und Früchten gebundenen Kohlenstoffs kurzfristig wieder in den Kohlenstoffkreislauf gelangt und umgekehrt 75%-80% (Hanf 20% bis 55%) des über die Vegetationsperiode aufgenommenen Kohlendioxids dauerhaft gespeichert bleiben.
Zusammenfassend kann Hanf mit Wald nur dann ansatzweise mithalten, wenn er weitgehend stofflich verwendet wird, d.h. wenn Hanffaser und Hanfholz in Gestalt dauerhafter Produkte wie etwa hochwertige Textilien oder Baustoffe aus dem Kreislauflauf permanenter Verstoffwechselung bzw. Kompostierung herausgenommen werden. Aber selbst dann muss wohl konstatiert werden, dass Hanf deutlich weniger Kohlenstoff als Wald für einige Jahre bis Jahrzehnte aus dem Kohlenstoffkreislauf herausnehmen kann.
Insoweit sind tollkühne “Hanf-Kann-Bis-Zu” dem Doppelten von Wald Kohlenstoff aufnehmen völlig fehl am Platz und völlig unrealistisch.